Georgien; 10.-15.07.2018

10.07.2018, Tag 17, Kutaissi, Georgien; Tageskilometer: 141, Gesamt: 5.041
Abschied von Gerhard

Die heutige Etappe bis nach Kutaissi sollte Gerhards letzte für uns sein. Es war von Anfang an geplant, den Bus hier abzugeben. Vorher rollten wir im Stadtzentrum ein und nahmen passenderweise am Cafe Tibilissi unsere Plätze ein. Direkt daneben hatte Bakuri sein Reisebüro, Reality Tour Agency, wie passend zu unseren Anliegen. Es dauerte keine zwei Bier, da hatten wir ein Restaurant für den Abend und eine Unterkunft für danach gebucht. Dort kommt am Morgen Gerhard Version 2.0 um uns in den Kaukasus zu fahren. Damit war alles geklärt und es wurde emotional.

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Schon am Morgen hatten wir Gerhard geräumt und gesäubert. Dann gings zur endgültig letzten Etappe, ein Restaurant am Flussufer von Kutaissi. Dort warteten bereits fünf Kameraden der Horda Azzuro. Seit vielen Jahren werden die Ultras des FCC von uns Eagles supportet. Insofern war von Anfang an geklärt, dass sie den Ford Gerhard, den sie auch für uns dekoriert hatten, hier für käuflich erwerben würden. Über den Kaufpreis wurde lange gefeilscht. Schließlich betrug er doch einen Euro. Die Jungs freuen sich sehr und starten umgehend zum Groundhopping. Für heute besuchen sie die Partie von Metallist Kutaissi gegen Rotor Chisinau. Es geht um die Champions League Qualifikation und wie wir später erfahren, gewinnt Kutaissi mit 2:1.

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Nachdem unser Ford Transit namens „Gerhard“ uns die ganze Zeit begleitet hat, war es doch ein sehr emotionaler Abschied, als er Kutaissi ohne uns verließ. Er war uns ein absolut treuer Begleiter und wir würden uns freuen, wenn er das für junge FCC Fans nun ebenfalls wird. Macht was draus Jungs! Für uns beginnt nun eine neue Reiseetappe. Um diese einzuläuten, bestellte uns Horst ein paar einheimische Gerichte. Rundherum lange Gesichter, Schmalhans war Küchenmeister…

11.07.2018, Tag 18, Mestia, Georgien; Tageskilometer: 257, Gesamt: 5298
Swanetien

In Georgien leben ca. 3,5 Millionen Menschen, die die georgische Sprache sprechen und die Schrift lesen, von der wir kein einziges Zeichen auch nur im Ansatz erkennen. Deshalb sind wir froh, nun Soso am Steuer von Gerhard Ver.2 zu haben. Er fährt uns in den Kaukasus. Kurzer Zwischenstopp an einem Mega Staudamm und dann wird die Straße abenteuerlich. Sie schlängelt sich an Berghängen hoch und immer wieder gibt es Abbrüche, es fehlt eben mal die Hälfte. Oder sie ist komplett vorhanden, aber von oben kam ein Steinschlag und verstopft ein Stück. Irgendwann erreichen wir Mestia und da passiert es. Die hintere Seitenscheibe zersplittert in tausend Stücke und fällt kurze Zeit später komplett raus. Wir sind mit einem Schrecken davon gekommen. Es greift unsere alte Reise Weisheit: Die kleinen Unglücke, sind dazu da, um uns vor den großen zu bewahren.

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Mestia liegt im Tal des Enguri und ist die bedeutendste Stadt der Region Swanetien, einer historischen Region Georgiens im Großen Kaukasus. In den letzten Jahrzehnten sank die Einwohnerzahl stark ab und heute leben in der Region gut 9000 Menschen. Die umliegenden Bergdörfer gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Wir befinden uns im Swanetischen Gebirge, rundherum ragen etliche Viereinhalbtausender in den Himmel, der höchste Berg in Swanetien (und damit in ganz Georgien) ist die 5200 m hohe Schchara im Hauptkamm des Großen Kaukasus auf der Grenze zu Russland.

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Man räume sein Wohnzimmer komplett, hänge den Fernseher unterhalb der Decke, stelle eine Biertheke in die Ecke und fülle den restlichen Raum mit Sitzkissen und Hockern. Dann kündigt man die Übertragung des WM Halbfinals der Three Lions gegen die Croaten an. Genau das war das Rezept von ein paar einheimischen Jugendlichen, vielleicht war es auch die Gründung ihres Start-Ups. Die Hütte war voll und bunt gemischt. Engländer, Iren, Ukrainer, Russen und dazwischen ein paar Einheimische und eben wir. Das Bier kostete umgerechnet 80,- Cent und bei dem Preis konnte man nicht verlangen, das auch noch Gläser abgewaschen werden. Leider verloren die Engländer, für uns war es trotzdem ein schöner Abend.

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12.07.2018, Tag 19, Mestia, Georgien; Tageskilometer: 29
Aftermath on Rhododentron Hill

Herrliches Wetter im Swanetischen Gebirge, blauer Himmel, die Sonne strahlt. Wir stehen 2.348 Meter über dem Meeresspiegel auf den Mt. Zuruldi und staunen über das gigantische Panorama. Schneebedeckte Gipfel wohin man schaut, weit hinten sogar Gletscher. Als wenn das nicht schon surreal genug wäre, läuft in voller Lautstärke die komplette Scheibe „The dark side oft the moon“ von Pink Floyd aus der benachbarten Bergbaude. Völlig verzaubert und hocherfreut starten wir unsere Bergwanderung. Immer entlang der herrlichsten Gebirgswiesen, alles blüht und duftet, man kann sich einfach nicht sattsehen. Einzig plätschernde Gebirgsbäche fehlen hier komplett und diesem Detail kommt noch besondere Bedeutung zu.

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Heute steht endlich mal Bergwandern auf dem Plan und nachdem wir den Gipfel mit dem Lift erreichten, ist das Tagesziel der Abstieg zu unserem derzeitigem Wohnort Mestia. Wanderwege sind hier überhaupt nicht markiert und so passierte es dann. Irgendwie kamen wir vom schmalen Trampelpfad ab, wir hatten uns so richtig verlaufen. Die Marschrichtung war jedoch klar und theoretisch konnte es auch nicht mehr allzu weit sein. Bei saunahaften Temperaturen schlugen wir uns durch Gestrüpp und umgefallene Bäume, ein echter Urwald. Plötzlich standen wir an der Oberkante einer steil abfallenden Felswand. Weitergehen war definitiv überhaupt nicht möglich, wir versuchten die Wand zu queren. Mittlerweile hatten wir nichts mehr zu trinken und waren eigentlich schon kaputt. Irgendwann sahen wir keinen Ausweg mehr, als den Steilhang wieder senkrecht nach oben zu klettern. So wollten wir wenigstens erst einmal auf den Grat kommen, wo wir zumindest einen Wanderweg vermuteten. Wir schlugen uns durch mannshohes Rhododentron und zogen uns an dessen Ästen Stück für Stück am ca. 40-60° steilen Hang nach oben. Es entstand eine merkwürdige Ruhe und eine ganz sonderbare Stimmung innerhalb der Kameradschaft. Wir haben viel gemeinsam erlebt und durchgemacht, aber das war neu. Sonnenverbrannte Gesichter, aufgerissene Augen, aufgeplatzte Lippen. Schnaufend und nach Luft japsend krochen wir den Hang hoch. Jedem war der absolute Ernst der Lage ganz glasklar bewusst.

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Nach stundenlangem Kampf im Rhododentron erreichten wir bei immer noch tropischen Temperaturen und immer noch ohne Wasser irgendwann am späten Nachmittag endlich wieder eine der schönen Blumenwiesen unterhalb der Gipfel. Ein Pfad führte in die andere Richtung ins Tal. Alles egal, jeder Meter Abstieg ist ein guter Meter. Mit dem Dunkelwerden wankten nach ca. 25 Kilometer Wanderung sechs Gespenster ins kleine Dorf Tsvirmi. Eine Kuhtränke mit glasklarem Kaukasuswasser hauchte uns erste Lebensgeister ein, ein kleiner Minimarkt mit seinem Angebot gab uns allererstes Denkvermögen zurück. Weil wir ins falschen Tal abgestiegen waren, mieteten kurzerhand den nächstbesten Dacia, zwei Mann in den Kofferraum und ab ging die Fuhre zu unserem Ziel. Es setze ein Gewitter ein, vier Stunden schüttete es wie aus Gießkannen. Blitze schlugen ein, der Strom fiel aus, aber das scheint in Mestia kein besonderes Vorkommnis zu sein. Zumindest schenkte die Gastwirtschaft weiter aus, als wäre nichts gewesen.

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Allen Kameraden ist vollkommen klar, dass wir heute riesengroßes Schwein gehabt haben. Heute hing die Gemeinschaft an mehreren seidenen Fäden. Das Reißen von nur einem davon hätte unter Umständen viel mehr als nur das Ende der Reise bedeutet. Wir heben die Gläser und stoßen nicht nur aufs Leben an. Sondern auch und insbesondere aufs Überleben…

13.07.2018, Tag 20, Tiblissi, Georgien; Tageskilometer: 423, Gesamt: 5.721
Das große Treffen

Zunächst lecken wir noch unsere Wunden vom Vortag. Sämtliche Klamotten verdreckt wie nach einem Rugby Spiel, alle Schienbeine zerkratzt und rhododentrongelb eingefärbt, diverse Brillen verloren, aber Erfahrung gewonnen und vor allem Demut wiederentdeckt. Demut ist das neue Zauberwort. Soso steuert uns mit frisch verklebter Seitenscheibe sicher nach Tbilissi.

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Heute endet nun das Kapitel der Reise, in dem wir zu sechst unterwegs waren. Mit so kleiner Mannschaft werden wir die nächsten Wochen nicht mehr unterwegs sein. Heute stoßen Holgi, Reinhard und der Schnirps zu uns. Bis Almati werden wir nun zu neunt weiterreisen. Außerdem ist Treffen mit Jan und Peter. Beide starteten am Pfingstsonntag eine Weltreise, die unserer Strecke genau entgegengesetzt läuft. Tiflis ist der ideale Punkt, bei dem alle Gruppen aufeinander stoßen.

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Gegen 18:00 Uhr war es soweit, es klingelt am Hostel und so nach und nach treten die Kameraden ein. Großes Hallo, große Stimmung, Jubel. Doch plötzlich fragt man sich, was ist denn das noch für eine Stimme? Burki taucht wie Kai aus der Kiste plötzlich bei uns auf. Er ist allein unterwegs und möchte in der kommenden Woche den Kaspek (5.047 Meter) besteigen. Diese Tour hat er vor allen geheim gehalten, um hier als Überraschungsgast die Manege zu betreten. Das ist ja mal ganz großes Kino. Egal wie es ausgeht Burki, ob Du auf dem Gipfel stehen wirst, oder vorher umdrehst, wir ziehen den Hut. Chapeau!

14.07.2018, Tag 21, Tiblissi, Georgien; Tageskilometer: 20
Die immer lacht

Tiblissi oder eben auch Tiflis ist die Hauptstadt Georgiens und hat über eine Million Einwohner. Tiblissi bedeutet so viel wie Warme Quelle, an einigen Stellen kommt 46° heißes kohlensäurehaltiges Wasser aus den Bergen. Der im deutschen übliche Name Tiflis wurde bereits im 13. Jahrhundert verwendet und auch Marco Polo erwähnte ihn.

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Für uns ist Tibilissi vor allem durch die Europapokalhistorie des FCC ein Begriff. In der erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte erreichte der FCC das Endspiel des Europapokals der Pokalsieger. Am 17.Mai 1981 fieberten wir vorm schwarz-weiß Fernseher mit. Das Endspiel war in Düsseldorfer Rheinstadion, da durften weder wir, noch die Anhänger von Dynamo Tibilissi hinfahren. So fand eben ein Geisterspiel vor knapp 8.000 Zuschauern statt. Leider verlor der FCC mit 1:2. Falls es noch Fragen gibt, warum unser Auto „Gerhard“ hieß, das Jenaer Tor in diesem Finale erzielte Gerhard Hoppe.

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Das Stadion von Dynamo war in unserer Stadtführung nicht dabei, wir blieben im historischen und sehr schönen Stadtkern. Unsere Führer waren zwei junge Mädels. Die machten das sehr gut. Eine lief vorneweg, „Die immer lacht“. Die andere lief am Schluss und trieb Burki zur Eile. Ansonsten schilderten die beiden ganz genau, welche Touristengruppen sie nicht mögen, Araber, Inder, Pakistaner, Iraner,… Am Ende blieb ein kleines Gebiet um Jena übrig, das sind die, die sie besonders mögen 🙂

15.07.2018, Tag 22, Tiblissi, Georgien; Tageskilometer: 2
Trikottausch

Wir haben eine Pension gemietet, von der es im Vorfeld hieß, wir hätten die ganz allein für uns. Das war dann doch nicht ganz so, es gab noch andere Gäste, die durchaus hätten unsere Kinder sein können. Und eine „Matka“, die die Pension ständig reinigte und aufräumte. Ansonsten saß sie vorm Fernseher und schlief auch gleich Nachts auf dem Sofa. Unser Tag begann wieder mit Tyrannentraining. Dazu verteilten wir uns im Flur und in den Gängen. Die restlichen Gäste mussten über uns drübersteigen und ich frage mich, was die angesichts der schwitzenden alten Männer auf dem Fußboden wohl gedacht haben werden?

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Wenn der Name Tiblissi sich schon von den warmen Quellen herleitet, dann wollten wir sie auch probieren. Mittags besuchten wir den historischen Hammam mit den heißen Schwefelbädern, den wir auf Empfehlung von der, „Die immer lacht“ schon am Vortag gebucht hatten. Sehr schönes Ambiente, alles wunderbar. Von diesem Erlebnis schwärmten auch schon Puschkin und Alexandre Dumas. Einige Kameraden buchten eine Massage. Während wir von exotischen orientalischen Masseusen aus 1001 Nacht träumten, betraten zwei gedrungene georgische Ringer den Raum. Zum einen verprügelten die uns, zum anderen begossen sie uns mit großer Freude abwechselnd mit kalten oder heißen Wasser. So hatten auch die restlichen Kameraden großen Spaß beim Zuschauen.

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Endspiel der Fussball-WM, wir haben ein schönes Lokal gefunden, um zuzuschauen. Wir finden tatsächlich einen Tifliser Dynamo Fan, der sogar die Torschützen des damaligen Endspiels kennt. Zur Belohnung bekommt er den FCC Wimpel mit den Unterschriften aller aktuellen FCC Spieler. Naja, um den Tausch des Trikots kam ich dann auch nicht drumherum.

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Über den neuen Weltmeister Frankreich freuen wir uns nicht, wir hätten es eher den Kroaten gegönnt. Am allermeisten ärgern wir uns aber bei der abschließenden Pokalverleihung über Herrn Putin. In Moskau gießt es wie aus Eimern, alle offiziellen Gratulanten sind klatschnass, aber einzig Wladimir wird mit einem Regenschirm geschützt. Warum zum Teufel lässt er den denn nicht über die neben ihm stehende kroatische Präsidentin halten? Anders als seine komischen Tigerfotos oder die gestellten Bilder mit freiem Oberkörper auf dem Pferd wäre das eine wahre und großartige Geste gewesen. Aber dazu reicht es dann wohl doch nicht…

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