Kirgisistan; 30.07.-04.08.2018

30.07.2018, Tag 37, Kara-Koy, Kirgisistan;
Im Pamir

Osh ist dreitausend Jahre alt und hat heutzutage ca. 600.000 Einwohner. Nach der Hauptstadt Bishkek ist es die zweitgrößte Stadt des Landes. Wir besteigen den Hausberg der Stadt und besuchen ein kleines Museum. Die Entstehung des Namens ist nicht ganz geklärt. Entweder leitet sich der Name durch den persischen Namen für Feuer ab. Oder durch die ersten Siedler, die ihre Rinder trieben. Osh, osh, osh… Auf dem Berg steht ein Mausoleum, welches zu Ehren des ersten Präsidenten errichtet wurde. Darin sitzt ein Schamane, der die Leute gegen ein kleines Entgeld segnet. Wie besuchen ihn gemeinsam mit einem 97jährigen Kirgisen. Was für ein Segen. Über uns weht eine riesengroße kirgisische Flagge.

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Wir fahren mit unseren Gastgebern in ein Seitental des Pamir. Beide sind Ärzte und zerlegen fachgerecht ein halbes Lamm. Es wird alles in kinderfaustgroße Stücke geschnitten und kurzzeitig in Gewürze und Zwiebeln eingelegt. Nachdem alles auf Schaschlikspieße gesteckt ist, wird auf offenem Feuer gebraten. Besonders gut fand ich die Leber. Nur in Pfeffer und Salz gewürzt wird die in 2×2 cm große Würfel geschnitten. Der ganze Spieß wird dann in eine Fetthaut aus dem Inneren des Schafes eingewickelt und gebraten. Oberlecker!

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Es wird kalt im Pamir, wir sind 2.263 Meter überm Meer und in der Nacht sind es nur noch 10° Grad. Die kirgisischen Jurten sind aber auch für den Winter ausgelegt. Sie werden von den Nomaden innerhalb von anderthalb Stunden aufgebaut. Unsere standen natürlich längst, als wir den Zeltplatz erreichten. Außen eine Art Filz, innen inclusive Seitenwände alles voll Teppiche. Die Konstruktion besteht aus Holzstecken, die eine Art auseinanderziehbares Scherengerüst bilden. Metall kommt nicht zum Einsatz. Ein ca. einen Meter Durchmesser großer „Deckel“ sitzt auf der Spitze und kann zum Belüften geöffnet werden. Die dann hervorschauenden Hölzer bilden ein Muster namens „Tunduk“. Dieses findet sich auch auf der Staatsflagge Kirgisistans wieder und ist das Wappen des Landes.

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31.07.2018, Tag 38, Gary Chelek, Kirgisistan;
Oldtimer

Wir kehren nochmal nach Osh zurück, weil wir zur Eröffnung einer neuen Venenklinik „Phlebozentrum Süd“ eingeladen sind. Dafür wurde dann ein traditionelles Kirgisisches Restaurant angemietet, wo wir mit mehreren Gängen der einheimischen Küche gemästet werden. Auch hier steht wieder Pferdefleisch auf dem Speiseplan. Anschließend starten wir mit einem älteren Mercedes 17 Sitzer. Mit uns sind Sergey, Oleg, Dima, Lena und Elli, ein Teil der Besatzung vom „Plebozentrum Nord“. Sie haben in Osh ihre neue Zweigstelle eröffnet und müssen zurück in die Hauptstadt Bischkek. Extra wegen uns haben sie sich etwas mehr Zeit eingeplant, um uns auf der Strecke ihr Land zu zeigen.

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Und das ist wirklich grandios. Hinter jedem Berg erscheint ein völlig neues Panorama. Karge Wüstenlandschaft wird durch grüne Auen abgelöst. Sanfte Hügel, dahinter schneebedeckte Gipfel. Roter Sandstein und schwarzer Fels. Es ist wirklich faszinierend. Die Orte sehen ärmlich aus, die Friedhöfe dagegen sind ganz groß. Da sind Erdhügel mit Grabsteinen vorhanden, aber die Ausnahme. Die meisten Grabstätten sind halbe Mini-Moscheen oder ist es vielleicht jeweils ein Mausoleum? Wir überlegen, was die Kirgisen dazu bewegen mag, so tolle Grabstätten zu errichten, während ihre Häuser eher einfach ausgestattet sind. Schnell finden wir die Antwort. Auf dem Friedhof liegt man letztlich länger und verbringt somit mehr Zeit, als in seinem Haus.

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Unser Mercedes Bus ist nicht das neueste Modell. Wenn man sich aber auf kirgisischen Straßen umschaut, geht er als Neuwagen durch. Denn ein Großteil der PKWs sind genau die, die wir uns nach der Wende gebraucht gekauft hatten. Und all die VW Passat und Audi A4 waren damals schon acht Jahre alt. Dazwischen fahren ganz viele Ladas, die garantiert noch mehr Jahre auf dem Buckel haben. Es geht lediglich darum, dass die Kisten fahren, auf Äußerlichkeiten wird überhaupt kein Wert gelegt. Ähnlich stellt sich die Situation bei Lieferwagen und LKW dar. Witzigerweise sind die so geblieben, wie sie ins Land kamen. Dadurch liest man ständig die Namen deutscher Bäckereien, Brauereien oder auch diverse Handwerksbetriebe aus dem Klein- und Mittelstand. Möbel Kraft Bad Segeberg, Bäckerei Siebrecht, Zimmerei Höhne und was nicht sonst so alles. Was uns schon seit Georgien immer wieder auffällt, ist der Umstand, dass es egal zu sein scheint, auf welcher Seite sich das Lenkrad befindet. So fahren neben den deutschen Oldtimern mit dem Lenkrad auf der linken Seite ganz viele rechtsgelenkte Autos herum. Der fernöstliche Automarkt scheint also auch günstige Modelle anzubieten.

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01.08.2018, Tag 39, Kara-Kyz, Kirgisistan;
Gewitterregen

Nach dem Aufstehen fahren wir ein paar Kilometer in die Berge und lassen das Auto stehen. Wandern ist angesagt und die Kulisse ist grandios. Blauer Himmel, schneebedeckte Gipfel der umliegenden Fünftausender. Hier wächst überraschend viel Sanddorn, aber auch Ginster und Berberitze. Wir kommen zum Gary Chelek, dem gelben See. Der heißt so, weil im Herbst sämtliche Laubbäume um ihn herum eine gelbe Färbung annehmen. Aber jetzt ist Sommer und wir gehen baden. Das Wasser ist überraschend warm. Und absolut glasklar. Eigentlich ist hier ein Naturreservat und Baden verboten. Da sich der Leiter des Nationalparks aber am gestrigen Abend persönlich davon überzeugt hat, das wir nette Menschen sind, dürfen wir ins Wasser.

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Wieder haben wir Glück. Kaum in unserer Herberge angekommen, geht ein Gewitter mit Sturzregen nieder. Unter offenen Dächern sitzend sind wir froh, da nicht hineingeraten zu sein. Dann nehmen wir wieder Fahrt auf staunen über einen riesigen Staudamm, der scheinbar endlos den Naryn River staut. Auf der Fahrt kommt es zur Wiedergeburt von Radio Buchlovice. Schon skurill, was wir da vor fünfundzwanzig Jahren produziert haben.

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Ein Bad im Toktogul Water Reserve ist das letzte Highlight des Tages. Ein künstlich entstandener Stausee. Auch wieder glasklares Wasser, auch wieder angenehm warm. Außergewöhnlich ist die Pflanzenwelt der Uferregion. Soweit man schauen kann besteht die überall aus Hanf.

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02.08.2018, Tag 40, Issyk-Kul, Kirgisistan;
Kara-Kyz, die schwarze Grenze

Nachdem wir erst nach Mitternacht hier eintrafen, stellt sich erst bei Tagesanbruch heraus, wo wir sind. Ein Hotel ist es definitiv nicht, ein Hostel schon eher. Aber im Stil einer Jurte. Jeder Raum hat Matten und Kopfkissen und je nach Anzahl der Gäste werden die ausgebreitet. So passen dann fünf oder sechs Leute in jedes Zimmer. Da diese Szenerie auch einen gewissen Lärmpegel erzeugt, flüchte ich mit Horst ins Esszimmer. Wir schlafen neben einer Schrankwand, die jeder DDR Neubauwohnung einen gewissen Glanz gegeben hätte. Sanitäre Einrichtungen gibt es gar keine. Gar keine. Bei der Toilette muß man sich nochmal überzeugen, ob man am kleinen Stall die Tür für Mensch, oder für Tier geöffnet hat.

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Hinter dem Stall gibt es einen fantastischen Blick auf den schneebedeckten Gipfel Kara-Kyz. Der Name bedeutet soviel wie „Die schwarze Grenze“. Wenn der ganzjährig schneebedeckt und weiß ist, wäre es spannend zu wissen, wie er zu seinem düsteren Name kam.

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Aber die Gastgeber, ein älteres Ehepaar sind nette Leute. Der Mann ist pensionierter Mathematiker und berichtet uns, das hier fünf Monate Winter ist. Bei bis zu minus vierzig Grad könnte man nichts tun, als schwarzen Tee und Wodka zu trinken. Sie haben sieben Töchter und einen Sohn. Ob die nicht auch in der langen Winterzeit entstanden sind?

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03.08.2018, Tag 41, Issyk-Kul, Kirgisistan;
Yssykköl, Herz des Tianshan

Rötlicher Sandstein bildet verrückte Formen, wenn er ständig Wind und Wetter ausgesetzt ist und nach jedem Regen anders aussieht. In Deutschland wäre garantiert alles abgeriegelt und Besichtigung nur über einen Steg und aus entsprechender Entfernung möglich. Aber hier darf man den Fairytail Canyon, das Märchental, betreten. Es gibt steile Anstiege, aber auch tolle Aussichten, wenn man denn oben angekommen ist. Runter kommt man dann sehr schwierig, bei losem Sand auf festem Untergrund ist es schwierig, auf den Beinen zu bleiben. Die Auswertung der Tour übernimmt unser mitreisender Lehrer: Es wird selten so viel gelogen, wie vor einer Wahl, während eines Krieges und nach einer Wanderung.

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Wir fahren weiter nach Kara-Kol. Dieser Ort ist für seine Spezialität bekannt: Aurnichtegoy Ashlan-Fu. Diese kann man in mehreren Restaurants zu sich nehmen. Das witzige dabei ist, dass gar kein zweites Gericht auf der Speisekarte erscheint. Es handelt sich um eine Suppe, eine kalte Suppe mit Spaghetti und einer Art Glasnudeln. Die Suppe wird portionsweise zubereitet, gerne auch zum Mitnehmen. Die Glasnudeln werden im Moment der Bestellung aus einem großen gallertartigem Klumpen herausgeschält. Und abgesehen davon, dass die Suppe kalt ist, sie ist höllisch scharf. So kommt es dazu, dass man jedesmal pustet, wenn man den Löffel zu Mund führt. Dazu isst man ein handtellergroßes Brot. Das wiederum ist warm und erinnert an Thüringer Kartoffelpuffer.

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Unser durch Rudi verschönerter Jurten Zeltplatz liegt am Ufer des Yssykköl-Sees im Tianshan-Gebirge. Der Yssykköl ist auch ein Schauplatz der Romane Tschingis Aitmatows. Der See ist nach dem südamerikanischen Titicacasee mit 6236 km² Fläche der zweitgrößte Gebirgssee der Erde und wird von sage und schreibe 118 Zuflüssen gespeist. Man nennt ihn das „Herz des Tianshan“, er ist 182 km lang, 60 km breit, bis 668 m tief und liegt 1607 m über dem Meeresspiegel. Und um mal die Dimensionen zu begreifen, der Gipfel der Schneekoppe im Riesengebirge liegt mit 1603 Meter fast auf der gleichen Höhe. Steht man oben und hat klare Sicht, kann man weit runter ins Sudetenland schauen. Am Yssykköl dagegen glaubt man am Meeresstrand zu stehen, da das andere Ufer kaum zu sehen ist. Von hier schaut man nur nach oben, denn rundherum sieht man die schneebedecken Gipfel der Fünftausender. Wie geil ist das denn?

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04.08.2018, Tag 42, Bischkek, Kirgisistan;
General Frunse

Wir verlassen unseren Jurte Rudi Campingplatz am Ufer des Yssykköl-Sees im Tianshan-Gebirge und starten zur letzten Kirgisistan-Etappe nach Bischkek, der Hauptstadt des Landes. Während Osh auf über dreitausend Jahre Geschichte zurückblickt, ist Bischkek als Stadt wohl gerade mal 140 Jahre alt. Früher gab es hier lediglich eine Karawanenstation an einem der Seidenstraße zugerechneten Weg durch das Tian-Schan-Gebirge. Zu Zeiten der Oktoberrevolution gab es mit Michail Wassiljewitsch Frunse einen engen Vertrauten von Lenin, der in Bischkek geboren wurde. Nachdem er auch im Russischen Bürgerkrieg in den 1920er Jahren eine entscheidende Rolle gespielt hatte, wurde die Stadt ihm zu Ehren in Frunse umbenannt. Heute leben hier ca. 1,2 Millionen Menschen und Bischkek gilt als grünste Stadt Mittelasiens.

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Nachdem zu Zeiten der Sowjetunion alle Religionen unterdrückt wurden, erlebt der Islam in Kirgisistan derzeit eine Revitalisierung. Und wer steht da wohl gleich auf der Matte? Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Türken finanzieren die größte Moschee Mittelasiens. Diese wird im Stile der Istanbuler Blue Mosque gebaut und steht kurz vor der Fertigstellung. Gute Nacht, Morgenland.

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Wir haben Zeit und besuchen das Kunstmuseum. Ein Gebäude, wie man es sich vom Baustil her sowjetischer nicht vorstellen kann. Unten Teppiche, oben Gemälde und Skulpturen. Uns fällt auf, dass das älteste Werk aus den fünfziger Jahren stammt. Der Rest ist jünger. Alte Meister gibt es in Kirgisistan nicht. Wenn hier was alt ist, dann sind es Gebrauchsgegenstände. Wenn es ums Überleben geht, ist für Kunst keine Zeit.

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Ein Kommentar zu „Kirgisistan; 30.07.-04.08.2018“

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